„Je nach Wetterlage beginnen die heimischen Kraniche Ende März mit Nestbau und Eiablage. Im Regelfall werden zwei Eier gelegt, die von beiden Partnern abwechselnd 29 bis 31 manchmal auch noch mehr Tage bebrütet werden. Somit schlüpfen die ersten jungen Kraniche bereits Ende April.“
Von dem Wahrheitsgehalt dieser Standardinfomaiton über das Brutgeschäft der Kraniche konnte ich mich in der vergangenen Woche überzeugen.
Am Donnerstag, dem 27. April kam der ersehnte Anruf von Fred Bollmann: „Es geht los“, sagte er. Gerade einmal drei Stunden später erreichte ich die Feldberger Seenlandschaft und bezog ein schon vorbereitetes Tarnzelt. Dieses sollte dann zwei Tage und Nächte ununterbrochen mein Zuhause sein. Es bot wenig Komfort, dafür aber einen erstklassigen Ausblick. In nur zwanzig Meter Entfernung vor dem Zelt lag, im flachen Wasser eines Erlenbruchwaldes, ein Kranichnest. Bei meiner abendlichen Ankunft war ein Jungvogel bereits geschlüpft und das zweite Ei hatte auch schon ein kleines Loch. Kurz nachdem mich Fred ins Zelt verfrachtet hatte, kehrte ein Altvogel zurück, um sogleich wieder Ei und bereits geschlüpftes Küken zu wärmen. Abgesehen von mehrmaligem Aufstehen des Kranichs, der Ei und Jungvogel kurz zurechtrückte, geschah bis zum Einbruch der Nacht an diesem ersten Abend nicht mehr viel. Einige Experimente bei spärlichem Licht und damit einhergehende lange Belichtungszeiten beenden den Tag.
Zum Tagesanbruch des 28. April war die Spannung groß, ob auch der zweite Jungvogel erfolgreich geschlüpft war. Ein Vorgang der sich über mehrere Stunden zieht und nun über Nacht hoffentlich seinen glücklichen Ausgang gefunden hatte. Doch bis zur Auflösung sollte es noch etwas dauern. Das erste Bild des neuen Tages unterschied sich nicht großartig vom letzten des vergangenen Abends..
Erst nach acht Uhr fand die erste Brutablösung statt. Der Altvogel stand auf, lüftete das Geheimnis und gab den Blick frei auf zwei Küken, die aber schon bald darauf wieder unter dem Gefieder des hudernden Elternteils verschwanden.
Von da ab begann es fotografisch interessant und ergiebig zu werden. In Abständen von ca. zwei Stunden lösten sich die Altvögel am Nest ab und gaben den Blick frei auf den Nachwuchs. Die Küken waren erst noch sehr wackelig auf den Beinen, wurden aber im Laufe des Tages immer standfester. Nach einer halben Stunde Frischluft und Weltentdeckung (Aktionsradius bis zum Nestrand) war dann wieder Schlafenszeit. Der diensthabende Elternteil sammelte die Sprößlinge ein und ließ sich zum Hudern über ihnen nieder.
In den vergangenen 30 Tagen hatten die Elterntiere während der Brut regelmäßig die Eier gedreht, um eine gleichmäßige Temperaturverteilung zu gewährleisten. Es schien, als wollten sie dieses Procedere bei den Jungen nun fortführen. Dass die bis gestern noch so unbewegliche Nesteinlage nun laufen konnte, war anscheinend für die Altvögel unverständlich. Bevor sich der Kranich auf das Nest setzte wurden die Jungen akribisch mit dem Schnabel in Position gebracht, auch wenn sie eigentlich schon dicht beieinander in der Nestmitte saßen. Dann war das Küken, welches nicht gerade durchs Nest geschoben wurde, schon wieder unterwegs und das ganze Spiel wiederholte sich mehrfach. Oft dauerte es mehrere Minuten, bis alles soweit war und letztendlich setzte sich der Altvogel hin, ohne überhaupt ein Junges unter sich zu haben. Die Küken suchten dann zu Fuß den Weg unter das wärmende Gefieder.
Dem selben Ablauf durfte ich dann auch noch am 29.4. beiwohnen, wobei an diesem Tag die Kleinen schon deutlich agiler und selbstsicherer waren. Ein Umstand, der auch dazu führte, dass die Aggression unter den Geschwistern deutlich zunahm. Der Konkurrenzkampf unter den Jungen ist groß und oft setzt sich das stärkere Küken durch.
Im Laufe des Tages konnte man zusehen, wie die kleinen Kraniche immer fitter wurden. Die Altvögel kamen immer häufiger mit Futter, wobei Insekten und auch kleinste Stücke der Eischale verfüttert wurden. Der Aktionsradius wuchs und schwimmend folgten die Küken ihren Eltern durch den Erlenbruchwald. Am Nachmittag hatten sie sich weit aus dem Sichtfeld des Tarnzelts heraus entfernt, so dass meine Anwesenheit vor Ort ein Ende fand.
Ein wunderschönes Erlebnis mit vielen interessanten Eindrücken und guten Fotomöglichkeiten. Ich bedanke mich bei Fred Bollman für die perfekte Organisation und bei den Kranichen für die sehr gute Kooperation
Vielleicht sieht man sich ja im Winter in Spanien. Bis dahin alles Gute!